Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat am 06.08.2024 unter dem Aktenzeichen 5 Sa 86/23 entschieden, dass die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung einer Diplom-Biologin rechtmäßig ist.
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Kündigung – Allgemein, Kündigung – Ordentlich, Kündigung – Verhaltensbedingt
Inhaltsverzeichnis
1. Kurzfassung
Die Klägerin, die seit 2018 als Sachbearbeiterin für Artenschutz tätig war, hatte wiederholt haltlose Anschuldigungen gegen Kollegen erhoben. Trotz einer Abmahnung im Mai 2022 setzte sie ihr Verhalten fort und beschuldigte ihren Vorgesetzten im Januar 2023 erneut zu Unrecht strafrechtlich relevanter Handlungen. Das Gericht bestätigte, dass solche Anschuldigungen den Betriebsfrieden erheblich stören und eine Kündigung rechtfertigen. Die Berufungen der Klägerin gegen die Entscheidungen des Arbeitsgerichts Schwerin wurden zurückgewiesen, und die Revision wurde nicht zugelassen.
2. Das Urteil in der Vollfassung:
Tenor
- Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Schwerin vom 31.05.2023 – 4 Ca 43/23 – und vom 22.02.2024 – 1 Ca 804/23 – werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Abmahnung und über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen Erhebung haltloser Anschuldigungen gegenüber anderen Beschäftigten.
Die im August 1982 geborene Klägerin ist Diplom-Biologin. Sie nahm am 01.09.2018 bei dem beklagten Landkreis eine Beschäftigung als Sachbearbeiterin Artenschutz in der Unteren Naturschutzbehörde auf. Zu dieser Tätigkeit gehört es u. a., Stellungnahmen zur Durchsetzung des Baum- und Alleenschutzes zu fertigen, Ausnahmeregelungen und Wiederherstellungsverfügungen in diesem Bereich zu erteilen sowie Naturschutzgenehmigungen für Eingriffsvorhaben zu erteilen und Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen. Die Tätigkeit der Klägerin ist der Entgeltgruppe 12 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD/VKA) zugeordnet. Das monatliche Bruttogehalt betrug zuletzt € 5.102,97 bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden.
Ab Oktober 2019 befand sich die seinerzeit schwangere Klägerin im Beschäftigungsverbot und anschließend im Mutterschutz. Am 13.01.2020 wurde das Kind geboren. Es ist ihr zweites Kind. Im Anschluss daran befand sie sich eineinhalb Jahre lang in Elternzeit. Aufgrund einer weiteren Schwangerschaft wurde erneut ein Beschäftigungsverbot angeordnet, an das sich die Mutterschutzzeit anschloss. Die Klägerin gebar am 24.08.2021 ihr drittes Kind. Die darauf folgende Elternzeit der Klägerin endete im Februar 2022. Nach der Gewährung von Resturlaub nahm die Klägerin am 28.03.2022 die Arbeit wieder auf. Mit ihrer damaligen Vorgesetzten, der Fachdienstleiterin D., verständigte sie sich darauf, dass sie überwiegend im Homeoffice arbeitet und nur Dienstag- und Donnerstagvormittag in der Dienststelle anwesend zu sein hat.
Im April 2022 bearbeitete die Klägerin eine Anordnung zur Strandsperrung bei dem Ort B-Stadt zum Schutz von Sandregenpfeiferbruten. Am Donnerstag, 21.04.2022, kam es zu folgendem E-Mail-Verkehr zwischen der Klägerin und ihren Vorgesetzten:
Der Fachgebietsleiter, Herr H., schrieb ihr um 11:18 Uhr:
„…
Die von Ihnen vorgesehene Anordnung zur zeitlichen Strandsperrung bei B-Stadt, hier aus artenschutzrechtlichen Gründen, bedarf, auch im Hinblick auf andere zu berücksichtigende Belange, vor Erlass der Klärung und Abstimmung mit der FDL’in.
Ich bitte dies zu beachten.
…“
Die Klägerin antwortete darauf um 13:33 Uhr:
„…
anhängend finden Sie meine Anordnung. Im Hinblick auf die Dringlichkeit sowie die untenstehend bereits im vergangenen Jahr erfolgte Klärung seitens des Ministeriums sowie der auch der Aussage von Frau H. (Amt Klützer Winkel), dass es wichtig wäre, ein offizielles Schreiben der unteren Naturschutzbehörde zu bekommen, um der Gemeinde gegenüber argumentieren zu können, werde ich das Schreiben binnen der nächsten Stunden per E-Mail auf den Weg bringen, sofern Ihrerseits keine Einwände formuliert werden. …
…“
Der Fachgebietsleiter teilte ihr daraufhin um 14:03 Uhr mit:
„…
ich habe ihren Entwurf erhalten. Es ergeben sich hierzu noch offene rechtliche Fragen, welche erst geklärt werden müssen. Im Hinblick auf die von Ihnen angesprochene Dringlichkeit soll diese Klärung zeitnah erfolgen. Bis zur endgültigen Klärung dieser offenen Fragen, ist keine Anordnung zu erlassen.
…“
Im Anschluss an diese E-Mail fand ein persönliches Gespräch zwischen der Klägerin und dem Fachgebietsleiter statt. Um 14:18 Uhr versandte die Klägerin den Entwurf ihrer Anordnung an die zuständige Dezernatsjuristin mit der Bitte um eine Einschätzung unter Hinweis auf die Dringlichkeit.
Um 15:09 Uhr schrieb die Klägerin an den Fachgebietsleiter per Mail, die auch die Fachdienstleiterin, die Dezernatsjuristin und ein weiterer Mitarbeiter zur Kenntnis erhielten:
„…
vor dem Hintergrund, dass Herr A. damals alle artenschutzrechtlichen Vorschriften ignorierend das Entfernen eines Storchenhorstes verfügt hat, was der Aufforderung zu einer Straftat entspricht und er dafür offensichtlich nicht im geringsten Maße zur Rechenschaft gezogen wurde, frage ich mich tatsächlich, was schlimmstenfalls passieren könnte, wenn meine Anordnung so rausgeht, ganz abgesehen davon, dass ich sie natürlich für absolut rechtmäßig halte und keineswegs sehe, welche Rechte den Schutz einer streng geschützten vom Aussterben bedrohten Art überragen sollten. Dies sehe ich auch durch den untenstehenden E-Mail-Verkehr mit dem Ministerium, der bereits im letzten Jahr stattfand, so bestätigen. Ihre Motivation, die Sache jetzt noch weiter zu verzögern, kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Sollte für die Naturschutzbehörde nicht der Naturschutz an erster Stelle stehen?
…“
Der in dieser E-Mail angesprochene Herr Dr. A. ist Amtstierarzt und Leiter des Fachdienstes Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt. Um 15:18 Uhr schrieb der stellvertretende Fachdienstleiter, Herr M., an die Klägerin:
„…
die Vorgehensweise erfolgt in Abstimmung mit mir. Es geht hier in keinster Weise um eine Verzögerung.
…“
Um 15:59 Uhr sandte die Dezernatsjuristin den Entwurf der Anordnung mit verschiedenen handschriftlichen Anmerkungen zurück und wies auf mehrere zwingend notwendige Ergänzungen in den Ausführungen hin. Zwischen 17:00 Uhr und 18:00 Uhr telefonierte die Klägerin längere Zeit mit der Dezernatsjuristin.
Um 18:15 Uhr wandte sich die Klägerin dann wie folgt an ihren Fachgebietsleiter:
„…
in Absprache mit Frau M. ist die Klärung aller rechtlichen Fragen erfolgt. Das entsprechend geänderte Dokument finden Sie im Anhang. Ich werde es morgen an die Adressatin versenden.
…“
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Fachgebietsleiter seinen Dienst bereits beendet, weshalb er die E-Mail an diesem Tag nicht mehr las.
Am Freitag, 22.04.2022, 07:46 Uhr, versandte die Klägerin per Mail die Anordnung an das Amt Klützer Winkel, mit der sie die zuständige Gemeinde anwies, einen bestimmten Strandabschnitt bis etwa 1 m in die Ostsee hinein unverzüglich abzusperren und diese Absperrung bis zum 15.08.2022 aufrechtzuerhalten. Strandwanderer sind umzuleiten. Die Klägerin ordnete die sofortige Vollziehung der Anordnungen an. Zur Begründung verwies sie auf die beginnende Revierbildung und Nestbauphase des streng geschützten und vom Aussterben bedrohten Sandregenpfeifers.
Der Fachgebietsleiter hatte den Dienst zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder angetreten, da er in der Regel zwischen 08:00 Uhr und 8:30 Uhr erscheint.
Die Fachdienstleiterin ordnete am 27./28.04.2022 gegenüber der Klägerin an, die Korrespondenz mit anderen Behörden oder Institutionen zur Abstimmung ausschließlich über den Fachgebietsleiter zu führen.
Mit E-Mail vom 02.05.2022, 08:37 Uhr, wandte sich die Klägerin an den Landrat. Sie bezog sich auf die Weisung der Fachdienstleiterin, mit der sie der Klägerin den Vorgang „Sandregenpfeifer“ entzogen und dem Fachgebietsleiter übertragen hatte. Sie warf dem Fachgebietsleiter vor, sie immer wieder daran gehindert zu haben, ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gerecht zu werden und den gesetzlichen Artenschutz durchzusetzen. Sie bat den Landrat, die unbilligen Weisungen der Fachdienstleiterin D. zeitnah zurückzunehmen. Um 13:30 Uhr desselben Tages hörte der Beklagte die Klägerin unter Hinzuziehung eines Personalratsmitglieds im Hinblick auf evtl. arbeitsrechtliche Maßnahmen zu den Umständen der Anordnung vom 22.04.2022 an.
Mit Bescheid vom 09.05.2022 hob der Beklagte die von der Klägerin erlassene Anordnung vom 22.04.2022 mangels einer in der Gemeinde vorhandenen Rechtsgrundlage für den Ausspruch eines Betretungsverbotes auf.
Mit Schreiben vom 19.05.2022 erteilte der Beklagte der Klägerin wegen des weisungswidrigen Erlasses der Anordnung vom 22.04.2022 und wegen Störung des Betriebsfriedens durch die Erhebung des Vorwurfs gegenüber Herrn A., mit der Verfügung zum Entfernen eines Storchenhorstes zu einer Straftat aufgefordert zu haben, eine Abmahnung. In der Abmahnung forderte der Beklagte die Klägerin abschließend auf, dienstliche Anordnungen ihrer Vorgesetzten zu befolgen sowie provokante Äußerungen insbesondere in Bezug auf andere Mitarbeitende zu unterlassen und eine respektvolle Tonalität gegenüber Vorgesetzten zu wahren. Das Schreiben enthält einen Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zum Ausspruch einer Kündigung im Falle eines erneuten Verstoßes.
Die Klägerin wies die Vorwürfe in ihrer Stellungnahme vom 14.06.2022 zurück und führte an, durch die Abstimmung mit der zuständigen Dezernatsjuristin den Vorgaben des Fachgebietsleiters vollständig nachgekommen zu sein. Die Klägerin forderte den Beklagten erfolglos auf, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Am 01.07.2022 übernahm Herr Dr. F. die Leitung des Fachdienstes von Frau D.. Im Nachgang zu einem Personalgespräch mit der Klägerin teilte der neue Fachdienstleiter ihr per Mail am 06.07.2022 mit, die bisherige Anordnung, alle nach außen gerichteten Handlungen vorab vom Fachgebietsleiter freigeben zu lassen, mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Die Klägerin erhielt ihre bisherigen Aufgaben im Bereich Artenschutz in vollem Umfang zurück. Der neue Fachdienstleiter wies auf die Notwendigkeit einer Abstimmung mit dem Fachgebietsleiter und die Beachtung von Richtungsentscheidungen der Vorgesetzten hin verbunden mit der Hoffnung auf eine vertrauensvolle und kollegiale zukünftige Zusammenarbeit. Die Klägerin bedankte sich umgehend für das entgegengebrachte Vertrauen.
Mit der E-Mail vom 01.09.2022 beantragte die Klägerin bei ihrem Fachgebietsleiter die Bewilligung von Homeoffice für die Dauer der Elternzeit ihres Lebenspartners, d. h. bis zum 23.02.2023. Die Klägerin beabsichtigte, im Wechsel von jeweils zwei Wochen in unterschiedlichem Umfang im Büro und im Homeoffice zu arbeiten. In den ersten beiden Wochen plante sie, vormittags im Büro und nachmittags im Homeoffice tätig zu werden und in den folgenden beiden Wochen nur am Dienstag- und Donnerstagvormittag im Büro zu erscheinen und im Übrigen im Homeoffice zu arbeiten. Zur Begründung verwies sie auf den Hol- und Bringdienst für ihr im Wechselmodell betreutes erstes Kind sowie den Wunsch, das jüngste Kind nicht erst nach Feierabend, sondern im Laufe des Tages zu stillen.
Der Fachdienstleiter teilte ihr mit E-Mail vom 14.09.2022 mit, den Antrag auf Bewilligung von Homeoffice aufgrund der kürzlich ausgesprochenen Abmahnung und des zunächst nötigen Vertrauensaufbaus kritisch zu betrachten. Im Hinblick auf die familiäre Situation der Klägerin bot er ihr an, ihre Arbeitsleistung zu 25 % im Homeoffice zu erbringen und stellte ihr im Falle einer Bewährung dieser Regelung eine Ausdehnung des Homeoffice-Umfangs nach Ablauf eines Jahres in Aussicht. Am 20.09.2022 führte der Fachdienstleiter mit der Klägerin im Beisein seines Stellvertreters und eines Personalratsmitglieds ein Personalgespräch. Im Anschluss daran gestattete er ihr, ab dem 26.09.2022 maximal 25 % der wöchentlichen Arbeitszeit mobil zu arbeiten, wobei die konkrete Ausgestaltung einzelfallbezogen mit dem Fachgebietsleiter abzustimmen ist. Ende September 2022 erkrankte die Klägerin und war arbeitsunfähig.
Am 01.10.2022 trat die Dienstvereinbarung „Mobiles Arbeiten (HomeOffice)“ in Kraft. Danach kann mobiles Arbeiten stunden- oder tageweise erfolgen, soll aber nicht mehr als 50 % der monatlichen Arbeitszeit umfassen. Für mobiles Arbeiten bedarf es einer schriftlichen Vereinbarung mit dem Beschäftigten. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung kann das mobile Arbeiten in formloser Absprache mit dem Vorgesetzten genutzt werden. Die Dienstvereinbarung enthält verschiedene betriebliche und persönliche Kriterien für die Gestattung des mobilen Arbeitens, u. a. Loyalität, Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit. Am 10.10.2022 stellte die Klägerin unter Bezugnahme auf diese Dienstvereinbarung einen neuen Antrag auf mobiles Arbeiten im Umfang von 50 %.
Am 07.11.2022 nahm sie die Arbeit wieder auf, musste sich jedoch fortan das Büro mit einer anderen Mitarbeiterin teilen, die aus der Elternzeit zurückgekehrt war. Auch befand sich der bislang genutzte Stillsessel nicht mehr in ihrem Büro. Um 10:03 Uhr wandte sich die Klägerin an den Büroleiter des Landrats wegen eines Ruheraums für Schwangere und Stillende. Sie kündigte an, zum Stillen nach Hause zu fahren und die Fahrzeit als Arbeitszeit zu erfassen und nur die tatsächliche Stillzeit nicht zu berücksichtigen. Der Büroleiter des Landrats leitete die E-Mail an den Fachdienstleiter weiter, der die Klägerin unter Bezugnahme auf ein vorangegangenes Gespräch um 13:34 Uhr per Mail auf die grundsätzlich zu beachtenden Kernarbeitszeiten hinwies. Mobiles Arbeiten gestattete er vorbehaltlich einer Entscheidung des Landrates nicht. Die Klägerin fuhr an diesem Tag zum Stillen nach Hause. Sie stellte dem Beklagten die Fahrtkosten in Rechnung, der diese beglich. Die Fahrzeit wurde von dem Beklagten als Arbeitszeit berücksichtigt. Ab dem 08.11.2022 stand der Klägerin nunmehr ein Stillzimmer zur Verfügung, das sich zwei Stockwerke über ihrem Büro befand und mit einem Stillsessel sowie einer Matte ausgestattet war. Die Klägerin stillte dort ein- bis zweimal täglich ihre beiden jüngsten Kinder.
Die 1. Stellvertreterin des Landrates, Frau P., lehnte den Antrag der Klägerin vom 10.10.2022 auf mobiles Arbeiten im Umfang von 50 % mit Schreiben vom 01.12.2022 ab, wobei sie die Ablehnung zeitlich bis zum 30.06.2023 begrenzte. Sie verwies auf die eingeschränkte Loyalität, Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit sowie die noch ausbaufähige Team- und Kommunikationsfähigkeit.
Mit Schriftsatz vom 02.01.2023 hat sich die Klägerin an das Arbeitsgericht Schwerin (Aktenzeichen 4 Ca 43/23) gewandt, um die Entfernung der Abmahnung vom 19.05.2022 aus der Personalakte zu erreichen.
Mit Schreiben vom 17.01.2023 reichte die Klägerin beim Landrat eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihren Fachdienstleiter ein, die sich im Wesentlichen auf das Personalgespräch am 20.09.2022 bezieht. In der Dienstaufsichtsbeschwerde wirft sie dem Fachdienstleiter u. a. vor, ihr untersagt zu haben, zum Stillen unbezahlte Pausen zu machen, und ihr die Möglichkeit genommen zu haben, am Arbeitsplatz zu stillen. Sie wirft ihm weiterhin vor, dadurch vorsätzlich gegen das Mutterschutzgesetz verstoßen zu haben und die Schädigung ihrer Gesundheit mit Eventualvorsatz billigend in Kauf genommen und dadurch möglicherweise strafrechtlich relevante Tatbestände erfüllt zu haben. Sie forderte den Landrat auf, sie vor zukünftigen Schikanen zu bewahren. Zugleich erneuerte sie den Antrag auf Gestattung des mobilen Arbeitens im Umfang von 50 %.
Der Fachdienstleiter nahm unter dem 07.02.2023 zu der Dienstaufsichtsbeschwerde schriftlich Stellung. Er verwies darauf, dass es der Klägerin stets möglich gewesen sei, Stillpausen zu machen, und zwar nach Rücksprache mit dem Fachgebietsleiter selbst in der Kernzeit. Ihm sei nicht bekannt, dass der Klägerin bei einer solchen Abstimmung eine begehrte Stillpause versagt worden wäre. Der Beklagte habe dafür ein separates Stillzimmer eingerichtet. Den Vorwurf der Klägerin, sie daran gehindert zu haben, sich ihrer Muttermilch zu entledigen, sah der Fachdienstleiter als ehrverletzend und – im Falle der Berechtigung des Vorwurfs – als Grund für eine Entfernung aus dem Dienst an. Den wahrheitswidrigen Behauptungen der Klägerin widersprach er.
Die 1. Stellvertreterin des Landrates wies mit Schreiben vom 05.04.2023 die Dienstaufsichtsbeschwerde mangels eines Fehlverhaltens zurück. Daraufhin wandte sich die Klägerin mit E-Mail vom 13.04.2023 erneut an den Landrat und rügte die herablassende Gesprächsweise der 1. Stellvertreterin unter Bezugnahme auf eine von der Klägerin verfasste Gesprächsmitschrift. Sie bat den Landrat erneut, den andauernden Schikanen endlich ein Ende zu setzen und sie vor neuen Schikanen zu schützen.
Mit Schreiben vom 09.06.2023 beantragte der Beklagte beim Personalrat die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin zum 30.09.2023. Der Beklagte teilte dem Personalrat die Sozialdaten der Klägerin (Name, Geburtsdatum, Familienstand, Anzahl Kinder) mit sowie ihren beruflichen Werdegang und die aktuelle Beschäftigung nebst Vergütung. Der Beklagte stellte den Sachverhalt dar und fügte dem Schreiben u. a. die Abmahnung vom 19.05.2022 und die Dienstaufsichtsbeschwerde vom 17.01.2023 bei. Der Personalrat versagte durch Beschluss vom 23.06.2023 seine Zustimmung wegen eines – abgesehen von der Abmahnung – nicht erkennbaren Fehlverhaltens der Klägerin.
Mit E-Mail vom 25.06.2023 wandte sich die Klägerin an den Fachdienstleiter und erklärte, ihm niemals vorgeworfen zu haben, Straftaten gegen sie begangen zu haben. Sie habe lediglich um Prüfung einzelner Sachverhalte auf ihre möglicherweise strafrechtliche Relevanz gebeten. Der Landrat und seine Stellvertreterin erhielten ebenso wie der Personalrat diese E-Mail zur Kenntnis.
Die Einigungsstelle ersetzte die vom Personalrat versagte Zustimmung zur Kündigung durch Beschluss vom 07.07.2023. In der Begründung des Beschlusses bezog sich der Einigungsstellenvorsitzende u. a. auf die gegenüber dem Fachgebietsleiter erhobenen haltlosen und ehrverletzenden Vorwürfe.
Seit dem 17.07.2023 ist die Klägerin fortlaufend arbeitsunfähig.
Mit Schreiben vom 20.07.2023, der Klägerin zugegangen am 22.07.2023, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2023. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 28.07.2023 beim Arbeitsgericht Schwerin (Aktenzeichen 1 Ca 804/23) eingegangenen Kündigungsschutzklage.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die Abmahnung nicht berechtigt sei. Sie habe nicht gegen eine Weisung des Fachgebietsleiters verstoßen. In dem persönlichen Gespräch mit dem Fachgebietsleiter im Anschluss an die E-Mail vom 21.04.2022, 14:03 Uhr, habe dieser lediglich noch auf eine formaljuristische Klärung mit der zuständigen Dezernatsjuristin hingewiesen. Die Dezernatsjuristin habe der Klägerin erklärt, sie müsse die Anordnung zwar heute nicht mehr verschicken, müsse aber auch nicht mehr bis zur nächsten Woche warten. Die Klägerin sei davon ausgegangen, dass der Fachgebietsleiter ihre E-Mail vom 21.04.2022, 18:15 Uhr, noch rechtzeitig erhalten werde, da er gerade am Donnerstag erst spät seine Arbeit beende. Eine vorherige Genehmigung sei nach dem vorangegangenen Gespräch nicht mehr erforderlich gewesen. Die Anordnung vom 22.04.2022 sei nicht rechtswidrig gewesen, zumal bereits zwei Jahre zuvor eine vergleichbare Anordnung zur Strandsperrung erlassen worden sei. Auch habe die Klägerin den Betriebsfrieden nicht gestört. Sie habe möglicherweise eine überspitzte Formulierung gewählt; würdeverletzend sei die Äußerung aber nicht.
Die Kündigung sei ungerechtfertigt, da ein Kündigungsgrund nicht vorliege. Sämtliche Äußerungen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die Klägerin habe den Fachdienstleiter in ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde weder diffamiert noch Schmähkritik geübt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
I. den Beklagten zu verurteilen, die Abmahnung vom 19.05.2022 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen,
II. 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 20.07.2023 nicht beendet wird,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht, und
3. im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziffer 1 und/oder zu 2 die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Sachbearbeiterin Artenschutz weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Die Abmahnung vom 19.05.2022 sei berechtigt, da die Klägerin bewusst gegen die eindeutige Weisung des Fachgebietsleiters verstoßen habe. Sie habe unbedingt ihren Willen durchsetzen wollen. Den Zeitpunkt des Versands der Anordnung habe sie so gewählt, dass der Fachgebietsleiter nicht mehr habe Kenntnis nehmen können. Das habe die Klägerin gewusst, da sich der Fachgebietsleiter am Donnerstag bereits um 16:00 Uhr verabschiedet habe. Die Dezernatsjuristin habe der Klägerin nicht empfohlen, die Anordnung noch in der laufenden Woche zu verschicken. Der Dezernatsjuristen sei bekannt gewesen, dass die Fachdienstleiterin, Frau D., nach Rückkehr aus ihrem Urlaub am 24.04.2022 wegen der besonderen Bedeutung der Sache in die Entscheidung habe einbezogen werden sollen. Abgesehen davon habe eine Mitzeichnung des Vorgesetzten auf dem Bescheid gefehlt.
Die ordentliche Kündigung sei gerechtfertigt. Die Klägerin habe bereits wenige Monate nach der Abmahnung erneut den Betriebsfrieden gestört, indem sie unberechtigte Vorwürfe gegenüber einer Führungskraft erhoben habe. Nachdem sie zunächst Herrn A. unberechtigt eines strafbaren Verhaltens beschuldigt habe, was Gegenstand der Abmahnung sei, habe sie nunmehr vergleichbare Vorwürfe gegenüber ihrem Fachdienstleiter erhoben. Selbstverständlich dürfe die Klägerin Dienstaufsichtsbeschwerden erheben. Sie müsse jedoch bei der Wahrheit bleiben und dürfe andere Beschäftigte nicht diskreditieren. Werde Vorgesetzten zu Unrecht eine strafbare Handlung unterstellt, könne dies sogar eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Eine weitere Abmahnung sei offensichtlich nicht geeignet, eine Änderung des Verhaltens zu erreichen. Eine Umsetzung innerhalb der Kreisverwaltung sei aufgrund des Qualifikationsprofils der Klägerin nicht möglich.
Die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Schwerin hat die Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte mit Urteil vom 31.05.2023 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Abmahnung weder unrichtige Tatsachen noch eine unzutreffende rechtliche Beurteilung des Verhaltens der Klägerin enthalte. Die Klägerin habe sich bewusst über die Weisung des Fachgebietsleiters hinweggesetzt, was sich aus der E-Mail vom 21.04.2022, 15:09 Uhr, ergebe. Die Klägerin habe die Weisungslage durchaus richtig eingeschätzt. Sie habe zudem den Betriebsfrieden gestört, indem sie die Anschuldigung gegenüber Herrn A. an einen erweiterten Adressatenkreis versandt habe. Sie habe den Konflikt nicht auf ihren eigenen Arbeits- und Zuständigkeitsbereich beschränkt.
Die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Schwerin hat die Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 22.02.2024 abgewiesen. Die verhaltensbedingte Kündigung sei gerechtfertigt. Die Klägerin habe ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, indem sie den Fachdienstleiter zu Unrecht einer Straftat und eines schikanösen Verhaltens beschuldigt habe. Wegen eines vergleichbaren Verhaltens sei sie bereits abgemahnt worden. Das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien sei zerrüttet. Darüber hinaus sei die Kündigung auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Personalvertretungsgesetz MV unwirksam.
Gegen diese erstinstanzlichen Entscheidungen wendet sich die Klägerin mit ihren fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen. Die Abmahnung vom 19.05.2022 sei nicht rechtmäßig. Das Arbeitsgericht habe das Vier-Augen-Gespräch zwischen der Klägerin und dem Fachgebietsleiter nicht berücksichtigt, weshalb die Klägerin auch die E-Mail des stellvertretenden Fachdienstleiters M. anders verstanden habe. Sie habe sich lediglich noch mit der Dezernatsjuristin abstimmen sollen. Das habe die Klägerin getan. Sie habe sich demnach an die Weisungslage gehalten.
Die Kündigung sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts unwirksam, da es keine verhaltensbedingten Gründe gebe. Die Klägerin habe keine Strafanzeige gegen Vorgesetzte erstattet noch mit einer solchen gedroht. Sie habe sich nicht ehrverletzend gegenüber Vorgesetzten geäußert. Sie habe den Boden der Sachlichkeit nicht verlassen. Dass sich der Fachdienstleiter in dem Personalgespräch am 20.09.2022 ihr gegenüber despektierlich verhalten habe, könne auch die hinzugezogene Vertreterin des Personalrats bestätigen. Die Versagung der Möglichkeit des mobilen Arbeitens stelle letztlich eine Maßregelung dar. Die Klägerin habe den Betriebsfrieden nicht gestört, sondern nur ihr zustehende Rechte eingefordert.
Die Klägerin beantragt,
I. das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 31.05.2023 – 4 Ca 43/23 – abzu-
ändern und die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin mit Datum vom 19.05.2022 erteilte Abmahnung aus deren Personalakte zu entfernen, sowie
II. das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 22.02.2024 – 1 Ca 804/23 – abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 20.07.2023 nicht beendet wird,
2. im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziffer 1 die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Sachbearbeiterin Artenschutz weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufungen der Klägerin zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidungen des Arbeitsgerichts. Das Arbeitsgericht habe die Klage auf Entfernung der Abmahnung zu Recht abgewiesen. Aus der Chronologie des E-Mail-Verkehrs ergebe sich eindeutig ein weisungswidriges Verhalten. Darauf lasse insbesondere die E-Mail vom 21.04.2022 um 15:09 Uhr schließen, mit der die Klägerin die Weisung des Fachgebietsleiters infrage stelle. Einer Zeugenvernehmung des Fachgebietsleiters bedürfe es nicht.
Die ordentliche Kündigung sei gerechtfertigt. Die von der Klägerin leichtfertig und ohne nähere Prüfung behaupteten Vorwürfe seien geeignet, das Vertrauensverhältnis nachhaltig und unwiederbringlich zu zerstören. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, den Antrag der Klägerin auf mobiles Arbeiten vor dem Hintergrund eines fehlenden Vertrauens abzulehnen. Keinesfalls handele es sich um eine Schikane.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle und die angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteile verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufungen der Klägerin sind zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen.
1.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Entfernung der ihr erteilten Abmahnung vom 19.05.2022 aus der Personalakte.
Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von § 242, § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (BAG, Urteil vom 15. Juni 2021 – 9 AZR 413/19 – Rn. 17, juris = NZA 2021, 1780; BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 10 AZR 330/16 – Rn. 83, juris = ZTR 2017, 731; BAG, Urteil vom 2. November 2016 – 10 AZR 596/15 – Rn. 10, juris = NZA 2017, 183).
Die der Klägerin mit Schreiben vom 19.05.2022 erteilte Abmahnung ist weder inhaltlich unbestimmt noch enthält sie unrichtige Tatsachenbehauptungen oder eine unzutreffende rechtliche Bewertung noch ist sie unverhältnismäßig.
Der Beklagte hat den der Abmahnung zugrundeliegenden Sachverhalt anhand des E-Mail-Verkehrs zutreffend dargestellt und diesen zu Recht als Pflichtverletzung bewertet. Gegenstand der Abmahnung sind zwei Pflichtverletzungen, zum einen der Verstoß gegen eine Anweisung des Vorgesetzten und zum anderen die missachtenden Äußerungen über einen anderen Beschäftigten.
Die Rechtswidrigkeit der Anordnung vom 22.04.2022 ist zwar im Sachverhalt der Abmahnung erwähnt; eine Rüge hat der Beklagte diesbezüglich jedoch nicht ausgesprochen. Gerügt hat der Beklagte ausschließlich die Missachtung der Anweisungen des Vorgesetzten durch den eigenmächtigen Versand der Anordnung sowie die missachtenden Äußerungen über den Amtstierarzt. Dementsprechend forderte der Beklagte die Klägerin abschließend auf, zukünftig dienstliche Anordnungen ihrer Vorgesetzten zu befolgen sowie provokante Äußerungen insbesondere in Bezug auf andere Mitarbeitende zu unterlassen und eine respektvolle Tonalität gegenüber Vorgesetzten zu wahren.
Der Beklagte ist zutreffend von einem bewussten Verstoß der Klägerin gegen dienstliche Weisungen ausgegangen.
Der Arbeitgeber kann nach § 106 Satz 1 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Dienstvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Der Beklagte durfte im Rahmen seines Direktionsrechts die Klägerin anweisen, vor Erlass der Anordnung die Zustimmung der vorgesetzten Fachdienstleiterin, seinerzeit Frau D., einzuholen (E-Mail des Fachgebietsleiters vom 21.04.2022, 11:18 Uhr).
Dennoch erließ die Klägerin die Anordnung ohne die erforderliche Abstimmung mit der Fachdienstleiterin. An der Weisungslage hat sich im weiteren Verlauf des Tages nichts geändert. In welcher Weise sich der Fachgebietsleiter in dem persönlichen Gespräch mit der Klägerin im Anschluss an die E-Mail um 14:03 Uhr geäußert hat, kann dahinstehen. Die Klägerin hat seine Erklärungen im Ergebnis nicht dahingehend verstanden, dass sie die beabsichtigte Anordnung im Anschluss an die Prüfung durch die Dezernatsjuristin nunmehr selbstständig, also ohne Abstimmung mit der Fachdienstleiterin und dem Fachgebietsleiter, erlassen kann. Das ergibt sich eindeutig aus ihrer E-Mail an den Fachgebietsleiter um 15:09 Uhr. In dieser E-Mail wirft sie dem Fachgebietsleiter vor, den Erlass der Anordnung weiter verzögern zu wollen: („… Ihre Motivation, die Sache jetzt noch weiter zu verzögern, kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Sollte für die Naturschutzbehörde nicht der Naturschutz an erster Stelle stehen?“). Dieser Einwand gegenüber dem Fachgebietsleiter wäre unverständlich, wenn er der Klägerin – abgesehen von der noch vorzunehmenden Abstimmung mit der Dezernatsjuristin – nunmehr freie Hand gehabt hätte. In diesem Fall hätte die Klägerin keinen Anlass gehabt, sich bei dem Fachgebietsleiter über eine weitere Verzögerung der Anordnung zu beschweren.
Darüber hinaus war aus der E-Mail des stellvertretenden Fachdienstleiters um 15:18 Uhr ebenfalls eindeutig und unmissverständlich zu entnehmen, dass sich an den Weisungen des Fachgebietsleiters nichts geändert hatte. Der stellvertretende Fachdienstleiter sah sich angesichts des Widerstands der Klägerin veranlasst, auch seinerseits den Vorwurf der Verzögerung zurückzuweisen und die Anweisung des direkten Vorgesetzten zu bestätigen. Die Klägerin hat sich dennoch nicht davon abhalten lassen, die von ihr gewollte Anordnung ohne eine Abstimmung mit ihren Vorgesetzten zu erlassen. Sich daraus evtl. ergebende arbeitsrechtliche Konsequenzen hat sie bereits einkalkuliert, wie sich aus ihrer E-Mail um 15:09 Uhr ergibt. Dort fragt sie sich, „was schlimmstenfalls passieren könnte, wenn meine Anordnung so rausgeht„. Hätte die Klägerin in gutem Glauben gehandelt, hätte sie solche Erwägungen nicht angestellt. Stattdessen hat sie sich bewusst über die Weisungslage hinweggesetzt und evtl. daraus folgende Konsequenzen in Kauf genommen, um ihren Willen mit Macht durchzusetzen. In der E-Mail um 18:15 Uhr hat sie dementsprechend auch nicht mehr versucht, ein Einverständnis des Fachgebietsleiters einzuholen, sondern schlichtweg angekündigt, die Anordnung am nächsten Tag zu versenden.
Der Beklagte ist in der Abmahnung des Weiteren zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat, indem sie nicht belegte schwerwiegende Vorwürfe gegenüber einem Beschäftigten erhoben und diese innerbetrieblich verbreitet hat. Die Anschuldigung, eine Straftat begangen zu haben, ist ein solch schwerwiegender Vorwurf. Werden innerhalb eines Betriebs oder einer Betriebsabteilung haltlose Anschuldigungen verbreitet, beschädigen diese den Ruf des Betroffenen und verletzen dessen Ehre und Ansehen. Sie zwingen den Betroffenen, hierauf zu reagieren und den Makel auszuräumen, ohne dass dies oftmals vollständig gelingt. Unsachliche Angriffe auf andere Beschäftigte stören den Betriebsfrieden und die Zusammenarbeit im Sinne einer produktiven Aufgabenerledigung. Die Gefahr, unberechtigten Vorwürfen ausgesetzt zu sein, behindert die notwendige Kommunikation zwischen den Beschäftigten und senkt die Produktivität. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle der Bürger des Kreises ist nahezu unmöglich, wenn Beschäftigte stets damit rechnen müssen, von anderen Mitarbeitern grundlos der Begehung einer Straftat oder eines strafrechtlich relevanten Verhaltens bezichtigt zu werden.
In der E-Mail vom 21.04.2022 um 15:09 Uhr wirft die Klägerin dem Amtstierarzt und Leiter des Fachdienstes Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt, Herrn Dr. A., vor, zu einer Straftat aufgefordert zu haben. Ihre Meinungsverschiedenheiten mit dem Fachgebiets- und dem Fachdienstleiter gaben keinen Anlass, nebenbei unbeteiligte Dritte zu belasten und deren Ruf zu schädigen bzw. sie der Gefahr einer Rufschädigung auszusetzen. Ob Herr Dr. A. von der Anschuldigung erfahren hat, ist nicht ausschlaggebend. Ehrverletzend wirken sich auch hinterrücks getätigte Äußerungen aus, zumal diese Vorgehensweise es dem Betroffenen zusätzlich erschwert, sich zur Wehr zu setzen. Die Klägerin hat die Behauptung eines strafrechtlich relevanten Verhaltens in den Raum gestellt, ohne hierfür irgendeine Begründung zu geben. Solche pauschalen, schwerwiegenden Vorwürfe muss sich Herr Dr. A. nicht gefallen lassen. Die Klägerin mag die Möglichkeit von Eingriffen in den Naturraum strenger bewerten als ihre Vorgesetzten oder als Beschäftigte anderer Organisationseinheiten. Das rechtfertigt es allerdings nicht, diesen grundlos ein strafrechtlich relevantes Verhalten zu unterstellen.
2.
Eine ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (BAG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 12, juris = NZA 2022, 407; BAG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 75, juris = NZA 2020, 647).
Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 12, juris = NZA 2022, 407; BAG, Urteil vom 30. Juli 2020 – 2 AZR 43/20 – Rn. 44, juris = NZA 2020, 1427).
Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist anhand der zum Zeitpunkt des Zugangs gegebenen objektiven Verhältnisse zu beurteilen (BAG, Urteil vom 17. Februar 2016 – 2 AZR 613/14 – Rn. 26, juris = ZTR 2016, 418; BAG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 2 AZR 644/13 – Rn. 21, juris = NJW 2015, 1403). Ausschlaggebend ist, wie sich die Situation in dem betroffenen Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bei objektiver Betrachtung darstellt.
Die Klägerin hat trotz vorangegangener Abmahnung in ihrem Schreiben vom 17.01.2023 erneut einen anderen Beschäftigten wider besseren Wissens einer Pflichtverletzung beschuldigt. Das Schreiben vom 17.01.2023 enthält eine erkennbar wahrheitswidrige Behauptung über den ihr vorgesetzten Fachdienstleiter, die sie gegenüber dem Landrat als oberstem Vorgesetzten aufgestellt hat. Unter anderem wirft sie dem Fachdienstleiter vor, eine Schädigung ihrer Gesundheit durch die Untersagung von (unbezahlten) Stillpausen mit Eventualvorsatz billigend in Kauf genommen zu haben. Für ein solches Verbot mit der Gefahr einer Körperverletzung gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Es ist nicht erkennbar, wie die Klägerin zu dieser Behauptung gelangt ist. Bei Wiederaufnahme der Arbeit am 07.11.2022 stand ihr zwar an diesem Tag kein Stillzimmer zur Verfügung. Der Beklagte hat jedoch schon am nächsten Tag ein Stillzimmer bereitgestellt. Den Mehraufwand der Klägerin wegen der fehlenden Stillmöglichkeit am Vortag hat er ausgeglichen. Die Klägerin hatte stets die Möglichkeit, ihre Kinder auch nach dem ersten Lebensjahr zu stillen, wovon sie nach eigenen Angaben täglich Gebrauch gemacht hat, und zwar über mehrere Monate hinweg bis zu ihrer Erkrankung im Juli 2023. Der Beklagte hat umgehend das Notwendige veranlasst, um der Klägerin auch nach dem ersten Lebensjahr der Kinder das Stillen im Dienstgebäude zu ermöglichen. Ein Verbot, unbezahlte Stillpausen einzulegen, gab es erkennbar nicht. Der Hinweis des Fachdienstleiters in seiner E-Mail vom 07.11.2022, 13:34 Uhr, auf die grundsätzlich zu beachtenden Kernzeiten war zulässig. Eine stillende Mutter ist verpflichtet, durch zumutbare organisatorische Maßnahmen die Stillzeiten in angemessenen Grenzen zu halten und damit auch den betrieblichen Belangen Rechnung zu tragen (BAG, Urteil vom 3. Juli 1985 – 5 AZR 79/84 – Rn. 24, juris = NZA 1986, 131; ErfK/Schlachter, 24. Aufl. 2024, § 7 MuSchG, Rn. 6). Abgesehen davon hat der Fachdienstleiter nur „grundsätzlich“ die Einhaltung der Kernzeit gefordert, also Ausnahmen durchaus zugelassen.
Es handelt sich erneut um eine in keiner Weise begründete Unterstellung eines strafrechtlich relevanten Verhaltens eines anderen Beschäftigten. Der Vorwurf gegenüber dem Fachdienstleiter, eine Gesundheitsschädigung der Klägerin mit Eventualvorsatz billigend in Kauf genommen zu haben, ist ehrenrührig. Die Klägerin bezieht sich auf ein angebliches Verbot, Stillpausen einzulegen. Wiederum fehlt eine nähere Begründung hierzu. Aus welcher wann von dem Fachdienstleiter abgegebenen Erklärung die Klägerin ein solches Verbot folgert, ist nicht erkennbar. Selbst wenn der Fachdienstleiter im Hinblick auf die Jahresfrist des § 7 Abs. 2 MuSchG zunächst die Rechtsauffassung vertreten haben sollte, dass der Klägerin nach dem 1. Geburtstag ihrer Kinder eine Stillpause nicht mehr zustehe, so war das spätestens bei ihrer Rückkehr am 07.11.2022 überholt. Der Klägerin war es jederzeit möglich, ihre Kinder weiterhin zu stillen und zwar mit Ausnahme eines Tages auch in den Diensträumen. Eine evtl. abweichende Rechtsauffassung des Fachdienstleiters hat jedenfalls nicht zu einer Einschränkung der Möglichkeit zum Stillen geführt. Vielmehr hat der Beklagte umgehend die notwendigen Voraussetzungen geschaffen und ein Stillzimmer eingerichtet. Die Klägerin hat nach ihrer Rückkehr Anfang November 2022 fortlaufend gestillt, weshalb es für die Mitte Januar 2023 erhobenen Anschuldigungen keinen Anlass gab.
Die Klägerin hat die Anschuldigungen weder in Unkenntnis des maßgeblichen Sachverhalts noch aufgrund einer fehlerhaften Einschätzung des Gewichts der Vorwürfe erhoben. Sie hat sich mit den einschlägigen strafrechtlichen Fachbegriffen gründlich auseinandergesetzt und diese bewusst gewählt, wie sich ihren Formulierungen (z. B. Eventualvorsatz) entnehmen lässt.
Die unberechtigte Anschuldigung des Fachdienstleiters beim Landrat ist geeignet, den Fachdienstleiter in Verruf zu bringen, sein Ansehen zu beschädigen und sich nachteilig auf die weitere berufliche Entwicklung auszuwirken. Das gilt erst recht, wenn solche Vorwürfe bei einem Vorgesetzten des Beschäftigten, hier dem Landrat als obersten Vorgesetzten, erhoben werden.
Eine störungsfreie Vertragserfüllung ist zukünftig nicht mehr zu erwarten. Die Klägerin hat trotz eindeutiger Hinweise in der Abmahnung bereits nach wenigen Monaten eine gleichartige Pflichtverletzung begangen. Eine weitere Abmahnung ist nicht erfolgversprechend. Die Klägerin ist erkennbar nicht bereit, ihr Verhalten einer kritischen Prüfung zu unterziehen und ihre Vorgehensweise gegenüber Vorgesetzten und anderen Beschäftigten zu überdenken.
Dem Beklagten ist eine Weiterbeschäftigung der Klägerin über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar. Das Interesse des Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist ist höher zu gewichten als das Interesse der Klägerin an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
Die Beschäftigungszeit der Klägerin von etwa fünf Jahren ist verhältnismäßig gering. Ins Gewicht fallen jedoch ihre Unterhaltspflichten, für deren Erfüllung das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten von besonderer Bedeutung ist. Die Unterhaltspflichten zwingen den Beklagten allerdings nicht, die von der Klägerin ausgehenden Störungen in der Zusammenarbeit hinzunehmen und die sich daraus ergebenden Belastungen den Vorgesetzten und anderen Beschäftigten aufzubürden. Das Interesse des Beklagten an einer funktionierenden Verwaltung, deren Grundlage vor allem eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Mitarbeiter/innen des jeweiligen Organisationsbereichs ist, wiegt schwerer. Eine von gegenseitiger Verlässlichkeit getragene produktive Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und ihrem Fachgebiets- sowie ihrem Fachdienstleiter ist nicht mehr möglich, wenn Vorgesetzte stets mit haltlosen schwerwiegenden Anschuldigungen rechnen müssen. Das zwingt zu einer umfangreichen Dokumentation der wechselseitigen Kommunikation, um sich gegen Vorhaltungen stets zur Wehr setzen zu können. Das gilt erst recht im Fall von Weisungen bzw. Entscheidungen in fachlichen und personellen Angelegenheiten, die von der Klägerin nicht geteilt werden. Bei solchen Rahmenbedingungen ist es nur schwerlich möglich, zu einer sachlich begründeten Gewichtung zwischen Artenschutz und den Interessen der Bevölkerung zu gelangen. Angesichts des speziellen Fachgebiets, auf dem die Klägerin tätig ist, kann der Beklagte den Spannungen zwischen den Beschäftigten nicht durch Umsetzungen begegnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
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