Nochmal „Jeck“ gehabt – Unwirksame Kündigungen wegen Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat mit Urteil vom 21. Januar 2025 (Az. 7 SLa 204/24) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 10. April 2024 – 12 Ca 993/23 – zurückgewiesen. Im Kern des Rechtsstreits ging es um die Wirksamkeit mehrerer von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen (außerordentlich, ordentlich, vorsorglich ordentliche Verdachtskündigung) gegenüber dem Kläger sowie dessen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

Sachverhalt:

Der Kläger war seit 2001 als Mitarbeiter Logistik bei der Beklagten beschäftigt und ist schwerbehindert. Aufgrund gesundheitlicher Probleme konnte er einen Großteil seiner Tätigkeit im Homeoffice erledigen. Er war vom 31.10.2022 bis zum 04.11.2022 und vom 27.12.2022 bis zum 06.01.2023 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Während dieser Zeit nahm er an zwei Veranstaltungen seiner Karnevalsgesellschaft teil: am Abend des 04.11.2022 am Mobilmachungsappell und am 05.01.2023 am Generalkorpsappell, wobei er bei letzterem in Uniform einmarschierte. Die Beklagte wurde auf diese Teilnahme aufmerksam und hörte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Tatkündigung an, die auf vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeiten beruhen sollte. Der Betriebsrat stimmte den Kündigungen zu. Später kündigte die Beklagte auch vorsorglich ordentlich wegen des Verdachts des Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit, nachdem der Kläger im Kündigungsschutzprozess Atteste seines behandelnden Arztes vorgelegt hatte und dieser auf Anfrage des Arbeitsgerichts Stellung genommen hatte.

Entscheidung des LAG Köln:

Das LAG Köln bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies die Berufung der Beklagten zurück .

  • Außerordentliche Kündigung (17.02.2023): Das LAG sah keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB . Die Beklagte habe den Tatnachweis des Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit nicht erbringen können . Zwar könne die Vorlage eines Attests bei tatsächlich nicht bestehender Arbeitsunfähigkeit einen wichtigen Grund darstellen , jedoch sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum bis zum 04.11.2022 durch die Teilnahme an der Veranstaltung am Abend dieses Tages nicht erschüttert, da die Arbeitsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits beendet gewesen sei . Hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit vom 02.01.2023 bis zum 06.01.2023 sei der Beweiswert zwar durch die Teilnahme an der Veranstaltung am 05.01.2023 erschüttert , jedoch habe die Beklagte das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit nicht konkret dargelegt und bewiesen . Die Umstände seien nicht so gravierend, dass sie ein starkes Indiz für ein Vortäuschen der Krankheit darstellten . Ein etwaiges genesungswidriges Verhalten sei nicht geprüft worden, da der Betriebsrat hierzu nicht angehört worden war .
  • Ordentliche Kündigung (19.04.2023): Diese Kündigung sei ebenfalls sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG, da die Gründe für die außerordentliche Kündigung nicht vorlägen .
  • Vorsorglich ordentliche Verdachtskündigung (14.11.2023): Auch diese Kündigung sei unwirksam, da die Beklagte ihren Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt habe (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) . Der Arbeitgeber müsse dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben, und dürfe ihm bekannte Umstände, die sich objektiv zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, nicht vorenthalten. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte dem Betriebsrat neue Informationen aus dem bereits laufenden Kündigungsschutzprozess, insbesondere die Einlassungen des Klägers zu seiner Erkrankung und die Stellungnahme des behandelnden Arztes, nicht mitgeteilt. Dies sei insbesondere relevant gewesen, da der Betriebsrat zuvor aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Klägers von anderen Umständen ausgegangen war. Zudem hätte die Beklagte dem Betriebsrat die Stellungnahme des behandelnden Arztes vom 05.11.2023 vorlegen müssen, die ihr vor Ausspruch der Kündigung zugegangen war. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse hätte die Beklagte dem Betriebsrat erneut die Möglichkeit zur Stellungnahme eröffnen müssen.
  • Weiterbeschäftigungsanspruch: Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigungen hat der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Die zwischenzeitliche Weiterbeschäftigung zur Abwehr der Zwangsvollstreckung habe keinen Erfüllungscharakter.
Wichtiger Hinweis für die Praxis:

Das LAG Köln betonte, dass der Arbeitgeber, der wegen des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit kündigt, darlegen und beweisen müsse, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt gefehlt hat und die behauptete Krankheit nicht vorliegt. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, trete hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder der Zustand vor Vorlage des Attestes ein, sodass der Arbeitnehmer seinen Vortrag substantiieren müsse. Erst dann müsse der Arbeitgeber den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen.

Hinsichtlich der Betriebsratsanhörung stellte das LAG klar, dass die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz bestimmter Umstände nicht maßgeblich sei, wenn dadurch der Zweck der Anhörung verfehlt würde. Bekannte Umstände, die sich objektiv zugunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten, dürften dem Betriebsrat nicht vorenthalten werden. Zudem müsse der Arbeitgeber den Betriebsrat erneut anhören, wenn sich nach Abschluss der Anhörung, aber vor Ausspruch der Kündigung, neue relevante Erkenntnisse ergeben.

Die Revision gegen das Urteil wurde vom LAG Köln nicht zugelassen, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruhte.

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Rechtsanwalt Van Hoang
Rechtsanwalt Van Hoang

Rechtsanwalt Hoang ist Partner der Kanzlei "HHP - die Arbeitsrechtskanzlei - Hamacher Hoang Partnerschaft mbB" und Gründer von "Arbeitsrecht-Portal.de". Er vertritt ausschließlich die rechtlichen Interessen von Arbeitnehmern und Betriebsräte.

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