Entschädigungshöhe bei Diskriminierung im Bewerbungsverfahren

Arbeitsrecht: LAG Köln bestätigt Entschädigungshöhe bei Diskriminierung im Bewerbungsverfahren (8 SLa 109/24)

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hat mit Urteil vom 19.12.2024 (Az. 8 SLa 109/24) die Berufung eines Klägers gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts (AG) Köln zurückgewiesen. Streitgegenstand war die Höhe der Entschädigung, die dem Kläger nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufgrund einer Benachteiligung wegen seines Geschlechts im Bewerbungsverfahren zustehen soll.

Sachverhalt:

Der 1994 geborene Kläger, ein ausgebildeter Industriekaufmann und Fernstudent, bewarb sich am 07.12.2022 auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Teilzeitstelle mit einem Stundenlohn von 16,00 €. Die Stellenanzeige vom 29.11.2022 enthielt in der Kopfzeile die Bezeichnungen „Bürokauffrau, Sekretärin, Assistentin“. Der Kläger erhielt die Stelle nicht und sah darin eine unmittelbare Benachteiligung aufgrund seines Geschlechts.

Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln (Vorinstanz):

Das Arbeitsgericht Köln sprach dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 1.386,67 EUR zu und wies die Klage im Übrigen ab. Es ging von einer Benachteiligung wegen des Geschlechts aus und hielt ein Gehalt als angemessene Entschädigung. Dabei berücksichtigte das Arbeitsgericht die Kappungsgrenze des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG von maximal drei Gehältern.

Berufung des Klägers:

Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung ein, da er die zugesprochene Entschädigung für unangemessen niedrig hielt. Er argumentierte, dass die Entschädigung keine abschreckende Wirkung habe und unter 1,5 Bruttomonatsgehältern nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht zu rechtfertigen sei. Zudem führte er seine Arbeitslosigkeit und hohe Verschuldung als erschwerende Umstände an. Er beantragte eine weitere Entschädigungszahlung von 1.397,33 EUR.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (Berufungsinstanz):

Das LAG Köln wies die Berufung des Klägers zurück.

  • Zulässigkeit der Berufung: Das LAG gewährte dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der versäumten Berufungsfrist, da er ohne Verschulden daran gehindert war, die Frist vor Bewilligung der Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts einzuhalten. Die Berufung selbst wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
  • Unbegründetheit der Berufung: In der Sache blieb die Berufung jedoch ohne Erfolg . Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, dem Kläger eine Entschädigung von nicht mehr als 1.397,33 EUR zuzusprechen .
  • Angemessenheit der Entschädigung: Das LAG erachtete die zugesprochene Entschädigung als angemessen, um den immateriellen Schaden des Klägers aufgrund der unzulässigen Diskriminierung wegen des Geschlechts zu entschädigen und die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen .
  • Kappungsgrenze des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG: Das LAG stellte klar, dass es sich bei der Grenze in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG um eine Kappungs- bzw. Höchstgrenze handelt, die nur relevant wird, wenn die angemessene Entschädigung drei Bruttomonatsentgelte übersteigen sollte. Im vorliegenden Fall war dies nicht gegeben . Die Höhe der angemessenen Entschädigung wird zunächst ohne Begrenzung ermittelt und erst dann ggf. gekappt .
  • Kriterien für die Entschädigungshöhe: Bei der Bemessung der Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wie Art und Schwere der Benachteiligung, Dauer und Folgen, Anlass und Beweggrund des Handelns sowie der Sanktionszweck. Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährleisten und eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben, während der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ist verschuldensunabhängig.
  • Begründung der Angemessenheit im konkreten Fall: Das LAG stufte die Art und Schwere der Benachteiligung im Hinblick auf die ausgeschriebene Teilzeitstelle im Sekretariat als gering ein, auch unter Berücksichtigung der geringen Verdienstmöglichkeiten und des mit einem Umzug verbundenen Aufwands. Es war nicht ersichtlich, dass die Beklagte ansonsten diskriminierende Ausschreibungen vorgenommen hat oder der Inhalt der Stellenanzeige im Übrigen diskriminierend war. Ein bezifferbarer Schaden des Klägers war ebenfalls nicht erkennbar, und seine finanzielle Situation hätte sich durch die Teilzeitstelle nicht wesentlich verbessert. Die Schwere des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot wurde daher ebenfalls als gering angesehen. Das LAG betonte, dass § 15 Abs. 2 AGG ausdrücklich eine Orientierung an Monatsgehältern vorsieht, wodurch bei einer Teilzeitstelle mit geringer Vergütung der Entschädigung ein Rahmen gesetzt ist. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich aus der Rechtsprechung des BAG nicht, dass eine Entschädigung unter 1,5 Gehältern generell nicht gerechtfertigt sei; vielmehr kann die angemessene Höhe im Einzelfall auch darunter liegen.
  • Rechtsmissbrauch: Das LAG ließ die Frage offen, ob das Handeln des Klägers rechtsmissbräuchlich war mit dem Ziel, lediglich Entschädigungsansprüche geltend zu machen (unter Verweis auf ein Urteil des BAG zu einem Kläger mit identischen Daten, Az. 8 AZR 21/24 vom 19.09.2024), da der Entschädigungsanspruch ohnehin nicht über dem bereits zugesprochenen Betrag lag.

Kosten und Revision: Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die Entscheidung auf den Umständen des Einzelfalls beruht.

Leitsätze:
  1. Bei der Grenze in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG handelt es sich um eine Kappungs- bzw. Höchstgrenze, die nur dann eine Rolle spielt, wenn die Höhe der angemessenen Entschädigung drei Bruttomonatsentgelte übersteigen sollte.
  2. Im Falle einer geringeren Schwere der Diskriminierung und einem fehlenden Schaden kann ein Gehalt im Einzelfall angemessen sein.

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Rechtsanwalt Van Hoang
Rechtsanwalt Van Hoang

Rechtsanwalt Hoang ist Partner der Kanzlei "HHP - die Arbeitsrechtskanzlei - Hamacher Hoang Partnerschaft mbB" und Gründer von "Arbeitsrecht-Portal.de". Er vertritt ausschließlich die rechtlichen Interessen von Arbeitnehmern und Betriebsräte.

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