Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 12. November 2024 (Az. 9 AZR 205/23) die Revision eines Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamburg vom 13. Juli 2023 (Az. 3 Sa 56/22) zurückgewiesen. Streitgegenstand war die Frage, ob das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und dem Kläger daraus Ansprüche auf Arbeitsentgelt zustehen.
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt:
Der Kläger betrieb seit dem 1. Juli 2009 im Namen und für Rechnung der Beklagten deren Autowaschstraße in H.. Die Beklagte unterhält bundesweit mehr als 300 Autowaschstraßen. Die Parteien schlossen einen als „Partnervertrag“ bezeichneten Vertrag, in dem der Kläger als selbstständiger Gewerbetreibender den Betrieb der Waschstraße übernahm. Gemäß diesem Vertrag konnte der Kläger seine Tätigkeit grundsätzlich frei gestalten und seine Arbeitszeit selbst bestimmen und Personal einsetzen. Die vereinnahmten Gelder gehörten der Beklagten, und diese legte die Verkaufspreise fest. Der Kläger zahlte an die Beklagte ein umsatzabhängiges Nutzungsentgelt. Die Betriebszeiten wurden einvernehmlich festgelegt und konnten auch einvernehmlich geändert werden. Der Kläger beschäftigte eigene Mitarbeiter. Er war der Ansicht, dass er im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses für die Beklagte tätig gewesen sei und forderte die Feststellung des Arbeitsverhältnisses sowie die Zahlung von Arbeitsentgelt.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg (Vorinstanz):
Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage ab.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg (Berufungsinstanz):
Das Landesarbeitsgericht Hamburg wies die Berufung des Klägers ebenfalls zurück. Es kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger für die Beklagte nicht als Arbeitnehmer, sondern als freier Dienstnehmer tätig geworden sei.
Revision des Klägers:
Mit der Revision verfolgte der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter. Er argumentierte unter anderem, dass das LAG sich rechtsfehlerhaft nicht allein auf die Vertragspraxis konzentriert und das wirtschaftliche Ungleichgewicht der Parteien nicht ausreichend berücksichtigt habe.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Revisionsinstanz):
Das BAG wies die Revision des Klägers zurück. Es bestätigte die Entscheidung des LAG Hamburg und urteilte, dass das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.
- Zulässigkeit der Revision: Die Revision des Klägers war zulässig, da die Revisionsbegründung den gesetzlichen Anforderungen genügte.
- Unbegründetheit der Revision: In der Sache hatte die Revision jedoch keinen Erfolg. Das BAG sah keine revisionsrechtlichen Fehler in der Beurteilung des LAG.
- Gesamtbetrachtung aller Umstände: Das BAG betonte, dass für die Feststellung, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen ist (§ 611a Abs. 1 Satz 5 BGB). Dazu gehören auch die vertraglichen Abreden der Parteien.
- Abgestufte Prüfung: Das BAG erläuterte die abgestufte Prüfung bei der Beurteilung des Arbeitnehmerstatus:
- Zuerst ist der Vertrag auszulegen. Wenn sich daraus ein Arbeitsverhältnis ergibt, ist der Arbeitnehmerstatus verbindlich.
- Wenn der Vertrag auf eine selbstständige Tätigkeit abzielt, ist in einem zweiten Schritt die tatsächliche Durchführung des Vertrags zu prüfen.
- Weicht die Vertragspraxis vom Vertrag ab, ist allein die tatsächliche Durchführung maßgeblich.
- Kriterien für Selbstständigkeit: Das BAG hob hervor, dass der Umstand, dass der Kläger Personal einsetzen konnte (§ 3 Abs. 1 Satz 3 des Partnervertrags) und dies auch tatsächlich tat, maßgeblich gegen ein Arbeitsverhältnis spricht. Er handelte die Bedingungen für seine Mitarbeiter selbstständig aus.
- Eingeschränkte Handlungsfreiheit: Das BAG räumte ein, dass der Partnervertrag Regelungen enthielt, die die Handlungsfreiheit des Klägers einschränkten (z.B. Preisfestlegung durch die Beklagte, Durchführung von Wartungsarbeiten nach Handbuch). Diese wurden jedoch als Rahmenbedingungen für eine bundesweit einheitliche Betriebsführung unter der Marke der Beklagten angesehen.
- Einvernehmliche Betriebszeiten: Die einvernehmliche Festlegung und Änderung der Betriebszeiten sprach ebenfalls gegen ein Weisungsrecht der Beklagten in Bezug auf die Arbeitszeit des Klägers.
- Wirtschaftliches Ungleichgewicht: Das Argument des Klägers bezüglich des wirtschaftlichen Ungleichgewichts der Parteien wurde vom BAG nicht als entscheidend für die Frage des Arbeitnehmerstatus angesehen. „Unfaire“ Vertragsbedingungen seien nach allgemeinen Grundsätzen der Vertragskontrolle zu würdigen.
- Keine Verfahrensfehler: Die Rüge des Klägers, das LAG habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, wurde als unzulässige Verfahrensrüge bewertet.
Kosten und Entscheidungsformel:
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Das BAG wies die Revision des Klägers zurück. Da der Feststellungsantrag (Bestehen eines Arbeitsverhältnisses) unbegründet war, fiel der hilfsweise gestellte Zahlungsantrag auf Arbeitsentgelt dem Senat nicht zur Entscheidung an.
Leitsätze:
- Für die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls gemäß § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB erforderlich, welche auch die vertraglichen Abreden der Parteien umfasst.
- Das Recht, Personal einzusetzen und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter selbstständig auszuhandeln, ist ein starkes Indiz gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.
- Regelungen im Vertrag, die der Gewährleistung eines einheitlichen Standards und der Markenidentität dienen, begründen nicht zwingend ein Arbeitsverhältnis.
- Ein wirtschaftliches Ungleichgewicht der Vertragsparteien ist für die Beurteilung des Arbeitnehmerstatus nach § 611a Abs. 1 BGB nicht unmittelbar maßgeblich.
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